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Gesprochen von Ferdinand Hecke

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Das Land der ernsten Gesichter
„Ich möchte euch gerne nach Bulgarien in meine Softwarefabrik einladen“, sagte Wilfried zu seinen Kommilitonen, die mit ihm einst an der Wiener Wirtschaftsuniversität studierten. Ich war eine davon. Seit 20 Jahren trafen wir uns, eine kleine Gruppe von zwölf Studienfreunden, jährlich an interessanten Orten zu einem Wirtschafts- und Kulturtag. Da fast alle von uns in ihrem aktiven Leben interessante Tätigkeiten ausübten, gab es meist attraktive Programme.
Diesmal ging es also nach Bulgarien. Am ersten Tag besichtigten wir die Softwarefabrik, die 1986, lange vor dem Eintritt in die EU 2007, gegründet wurde. In den Hallen arbeiteten vorwiegend Frauen, die Elektronikkomponenten zusammensetzten. Diese wurden weltweit an 300.000 Kunden geliefert.
Immer wieder versuchte ich während des Besuchs herauszufinden, welche Veränderungen es in dem Land durch den Beitritt in die EU gegeben hat. Die lange Geschichte Bulgariens interessierte mich weniger. Eine junge Frau, mit der ich eine Weile allein im Besucherzimmer saß, vertraute mir an, dass jeder Mitarbeiter in der Halle 700 Euro im Monat verdiente. Ein Überbleibsel aus dem Kommunismus? Ob und wie man mit diesem geringen Lohn zurechtkam, erfuhr ich allerdings nicht. War Armut der Grund für die ernsten Gesichter, die mich zwei Tage lang umgaben? Am Kulturtag besuchten wir das Rila-Kloster, ein orthodoxes Kloster im südwestlichen Bulgarien. Über eine neue, nahezu leere Autobahn erreichten wir das im Wald liegende Kloster, das zum UNESCO-Welterbe gehört.
Untergebracht waren wir in einem amerikanischen Hotel in großen Zimmern mit einer vier Meter langen Fernsehwand, über die wir uns ein bulgarisches und russisches Programm anschauen konnten. Das Essen war sehr üppig, mit vielen Fleisch- und Wurstplatten. In den Restaurants waren nur ausländische Delegationen zu sehen. Am letzten Abend kehrten wir in das moderne Restaurant „Unica“ ein, in dem wir viele Prostituierte beobachteten. Auch sie alle mit ernsten Gesichtern.
Auch der Flughafen Sofia ist einer Großstadt entsprechend gebaut. Genau wie die Autobahnen. Natürlich finanziert von der EU. Bei den Menschen im Land selbst scheint nicht viel von dieser Förderung anzukommen.